„Je komplizierter man es macht, desto mehr kocht man am Gast vorbei.“
Edip Sigl
Das es:senz ist eines von mehreren Restaurants und Bars im Resort „Das Achental“ mitten im Herzen des Chiemgaus. In Grassau, zwischen Chiemsee und Kampenwand, beginnt der Bezug zur Region bereits bei der Einrichtung. Schon die Teller, auf denen die Gerichte – die aus wenigen ausgewählten Komponenten zusammengesetzt sind – serviert werden, stammen aus der Region. Küchenchef Edip Sigl kreiert Geschirr und Besteck in Zusammenarbeit mit einer Tonmanufaktur in Höslwang selbst.
Auch bei der Kreation der Gerichte setzt Sigl auf die Region und den Zyklus der Natur. Welche Produkte der Küchenchef in einem Menü verarbeitet, ist ganz und gar von der Saison abhängig. Er orientiert sich an der jeweiligen Jahreszeit und an dem, was seine Lieferanten dementsprechend gerade zur Verfügung haben. Sein Ziel: den Chiemgau kulinarisch präsentieren, regionale Zutaten verwenden und Spaß im Team haben. myDienstwagen traf Edip Sigl zum Interview.
myDienstwagen: Von München in den Chiemgau: Mit diesem Wechsel verändert sich sicherlich auch das Menü. Was wird Ihr zukünftiges Signature Dish, also ein Gericht, welches Ihre persönliche Handschrift trägt, werden?
Edip Sigl: Als ich noch im Les Deux war, war mein Signature Dish der Entenleber-Lolli als Apéro. Als ich dann hier angefangen habe, haben wir uns viele Gedanken darüber gemacht – auch über das Konzept: Wir wollen bio, fair und regional kochen und darauf achten, dass das Ganze stimmig ist. Also habe ich mich auf die Suche begeben nach fairer Entenstopfleber aus der Region. Doch am Ende bin ich zu dem Schluss gekommen: Wir brauchen es nicht. Ganz einfach weil es nichts Faires gab.
Das war nur einer von vielen Cuts. Wir wollten das Konzept völlig neu denken: Was wollen wir hier eigentlich machen? Was wollen wir erreichen? Was wollen wir dem Gast erzählen?
Es wäre ein Leichtes gewesen, zu sagen: „Das kenne ich, das mache ich, das kommt immer super an.“ Aber uns kam dann die Idee mit der Zuckerwatte mit Wurzelspeck und Essig. Und ich finde, das steht dem in nichts nach. Im Gegenteil, das ist eine ganz neue Überraschung.
Wichtig für mich ist einfach, dass die Apéros – also im Prinzip die Eröffnung des ganzen Menüs – regional bleiben, dass wir uns nicht aus der „Weltreise“ bedienen.
Stichwort „Cut“: Sie sind angetreten, um in dieser Region neue kulinarische Maßstäbe zu setzen. Wie wollen Sie das Ziel jetzt umsetzen?
Edip Sigl: Wir wollen mit unserem Konzept, mit dem wir uns sehr beschäftigt haben, den Chiemgau anpreisen. Es gibt das „Chiemgau-pur-Menü“, bei dem wirklich alles aus der Region kommt, und es gibt die „Weltreise“, bei der wir einen „externen Hauptdarsteller“ einladen. Die Basis der „Weltreise“ ist aber immer noch der Chiemgau.
Außerdem gehen wir Kooperationen mit unseren Lieferanten aus der Region ein. Wir haben uns gefragt: “Was gibt es hier eigentlich alles und mit wem wollen wir gern zusammenarbeiten?“ Der Chiemgau ist reichhaltig. Viele Produzenten produzieren nur kleine Mengen, aber ganz besondere Produkte. Mit solchen Lieferanten kann ich ganz anders kommunizieren. Ich kann zur Fischerei „Lex“ sagen: „Ich brauche dieses Produkt in der Größe.“ Und zur „Seppenbäuerin“ kann ich sagen: „Ich brauche genau den Schinken oder genau die Butter.“ Die Lieferantanten produzieren für mich auch Dinge, die sie vorher nicht im Sortiment hatten. Sowas ist nicht selbstverständlich, es ist eine Win-win-Situation. Wir bekommen Produkte aus dem Chiemgau und der Lieferant hat einen fixen Abnehmer.
In der Pre-Opening-Phase haben wir alle Lieferanten zum Essen eingeladen. Die waren alle hin und weg, weil sie gar nicht wussten, was mit ihren Produkten eigentlich passiert. So haben wir eine Beziehung aufgebaut, und die Produzenten wissen, dass das hier etwas Besonderes ist.
Wir wollen den Chiemgau ja mitnehmen auf unserer Reise und den Gästen zeigen, wie der Chiemgau eigentlich schmecken kann und was man für tolle Produkte im Chiemgau hat.
„Am besten ist diejenige Zutat, die gerade Saison hat.“
Edip Sigl
Den Stil kann man folglich so beschreiben: nachhaltiger, respektvoller Umgang mit den Produkten.
Edip Sigl: Absolut. Und wir versuchen, so wenig wie möglich zu verfälschen. Wie es der Begriff Essenz sagt: sich auf das Wesentliche konzentrieren, wenige Zutaten verwenden zwei, maximal drei Komponenten auf dem Teller – diese aber in Perfektion umgesetzt. Es ist ganz wichtig, dass der Gast versteht, was er isst. Darin liegt die Schwierigkeit. Denn je mehr man auf den Teller bringt, desto mehr wird es zum Einheitsbrei. Je weniger man allerdings auf den Teller bringt, desto klarer und perfekter muss man arbeiten. Der Gast soll die Speisekarte lesen und verstehen. Anders gesagt: Je komplizierter man es macht, desto mehr kocht man am Gast vorbei.
Ganz nach dem Motto „Weniger ist mehr“. Mit welchen Zutaten arbeiten Sie denn besonders gern?
Edip Sigl: Es gibt keine einzelne Zutat, die ich besonders bevorzuge. Jede Saison bringt etwas Besonderes mit sich. Am besten ist diejenige Zutat, die gerade Saison hat. Die Natur gibt es vor: Im Winter isst man deftiger; im Sommer wird es dann leichter, säurebetonter.
„Das ist das, was wir erzeugen wollen: alles auf das Wesentliche reduzieren.“
Edip Sigl
Essenz bedeutet im kulinarischen Sinn auch Kraftbrühe oder Grundlage für Soßen oder Suppen. Findet sich dieser Sinn auch in Ihrer es:senz wieder?
Edip Sigl: Im Prinzip ist die Soße die Seele jedes Gerichtes. Da lasse ich persönlich auch keinen anderen ran. Wir können noch so toll garen, noch so toll anrichten: Passt die Soße nicht, funktioniert das Gericht nicht. Da steckt einfach die meiste Liebe drin, die Soße kommt mit allem in Berührung. Bei einer Soße gibt es nicht viel zu verfälschen, sie ist pur, das ist so ein reines Produkt … Sie können einfach probieren und sagen, dass es schmeckt oder eben nicht.
Auch in Ihrer Einrichtung spielt die Regionalität eine entscheidende Rolle: Geschirr und Besteck haben Sie in Zusammenarbeit mit der „Tonmanufaktur Dorfkind“ selbst ausgewählt. Warum und was war das Ziel?
Edip Sigl: Wir haben uns gut überlegt, was für ein Geschirr wir hier haben wollen. Der Farbton des Restaurants stand fest, und nun ging es darum, den Chiemgau-Gedanken auch darin nicht zu verlieren.
Ich habe Manuela von der Tonmanufaktur durch meine Nachbarin kennengelernt. Wir waren zum Grillen eingeladen und es gab dort schönes schwarzes Geschirr. Es kam aus dem nächsten Dorf. Ich bin hingefahren und habe im Künstleratelier gesehen, was das für ein unglaubliches Handwerk ist, was es für Farben gibt und wie die Haptik der Teller ist. Warum also bei unserem Konzept nicht schon mit Tellern anfangen, die aus dem Chiemgau stammen? Gut 60 Prozent des gesamten Geschirrs im Restaurant kommen aus der Manufaktur – über 900 Teile.
Wir fangen also mit den Tellern an. Mehr Regionales könnten wir wohl gar nicht mehr beziehen. Mit Manuela kann ich individuell Sachen kreieren. Und das ist die nächste Geschichte, die darauf wartet, dem Gast erzählt zu werden.
„Entweder man macht es perfekt oder man lässt es komplett bleiben.“
Edip Sigl
Apropos Geschichte: „Hinter jedem einzelnen Gericht steht eine Geschichte, deren Erzählung auf dem Teller ihren Höhepunkt feiert.“ Gilt dieses frühere Zitat von Ihnen auch für die neu kreierten Gerichte in der es:senz?
Edip Sigl: Das beste Beispiel ist der Chiemsee-Kiesel. Der entstand, als wir von unserer Fischerei auf der Fraueninsel einen sensationellen Räucheraal bekommen haben. So kam die Idee auf, eine Räucherfischmousse daraus zu machen. Aus dem Räucheraal haben wir eine Mousse gekocht; die Haut haben wir komplett ausgekocht und zu einem Gelee verarbeitet und am Ende haben wir das Ganze dann in Form des Kieselsteins zusammengefügt. Technisch geht das so: Man friert etwas ein, taucht es in warmes Gelee, das sich aufgrund der Kälte wie ein Film darumlegt. Aufgetaut ist das dann unser Chiemsee-Kiesel. Das Gericht kommt aus dem See, wir haben einen Bezug dazu. Diese Geschichte soll der Gast erfahren. So entsteht eine ganz andere Verbundenheit. Das ist die es:senz. Das ist das, was wir erzeugen wollen: alles auf das Wesentliche reduzieren.
Sie konnten sich bereits innerhalb kürzester Zeit als Küchenchef im Les Deux zwei Sterne erkochen. Wie hat sich denn Ihre Art zu kochen seit den Anfangstagen verändert?
Edip Sigl: Ich habe eine sehr gute Ausbildung genossen, habe im Sternerestaurant angefangen und noch nicht einmal gewusst, was Sterne sind. In meinen Wanderjahren kam ich nach Berlin, auch in ein Sternerestaurant. Ich wollte einfach in die Hauptstadt und sehen, was da so passiert. Nach eineinhalb Jahren dachte ich mir, ich schau mir jetzt die drei Sterne an.
So war ich insgesamt fast siebeneinhalb Jahre bei Juan Amador. Er zeigte mir, was Perfektion bedeutet: Entweder man macht es perfekt oder man lässt es komplett bleiben. Es war wichtig und spannend, auf Perfektion getrimmt zu werden. Ich habe gelernt, mittels bestimmter Techniken und kleiner Details etwas völlig Neues zu erzeugen. Es gab keine Kompromisse. Das war für mich ganz wichtig!
„Wir schauen, was die Natur gerade hergibt, was wir in der Region haben, was als Nächstes kommt ...“
Edip Sigl
Detailverliebt und die perfekte Technik: Wie entwickeln Sie neue Gerichte und gibt es eine Kreation, auf die Sie besonders stolz sind?
Edip Sigl: Für mich war die Zeit, als ich im es:senz angefangen habe, besonders spannend, weil ich nicht einfach das Gleiche machen wollte wie vorher im Les Deux. Es sollte anders sein, aber ich wollte auch nicht den Faden verlieren und verkrampft etwas Neues machen, nur um etwas Neues gemacht zu haben – sondern weil es die Region einfach hergibt. Das war zu dieser Zeit mein Ansporn. Wichtig war das erste Menü, das ich für die es:senz geschrieben habe, weil ich mich intensiv damit auseinandergesetzt hatte: Was ist der Chiemgau eigentlich? Was bekommst du hier? Früher hatte ich einfach ein Geschmacksbild vor Augen und dann wusste ich: Dies brauche ich, dort bestellt man es. Und so holte man einfach alles zusammen.
Hier ist das ganz anders. Gewisse Sachen bekommen wir hier gar nicht oder zumindest nicht zu dieser Jahreszeit. Sich damit auseinanderzusetzen war unglaublich spannend.
Bei der Entwicklung bin ich zwar der Takt- und Ideengeber, bin aber froh, wenn jeder eine Idee mit einbringt. Die Mitglieder meines Teams waren ja auch alle in Gourmetrestaurants unterwegs, und es wäre doch fatal, dieses Wissen verloren gehen zu lassen. Das ist das Großartige: dass wir so ein tolles Team sind und das Ganze miteinander kreieren. Ich gebe Geschmacksbilder vor und darauf bauen wir auf. Wir schauen, was die Natur gerade hergibt, was wir in der Region haben, was als Nächstes kommt …
„Kein Koch der Welt, egal mit wie vielen Sternen, kann ohne sein Team abliefern.“
Edip Sigl
Sie sind also nicht nur der Ideengeber für neue Kreationen, sondern auch der Küchenchef der es:senz. Welche Rolle spielt das Team?
Edip Sigl: Mit die wichtigste Rolle. Kein Koch der Welt, egal mit wie vielen Sternen, kann ohne sein Team abliefern. Man selbst ist nur so gut wie das Team. Es ist ein ganzheitliches Konzept, das funktionieren soll – und bei uns funktioniert das schon sehr gut. Ich bin froh, dass wir in der es:senz ein Stammpersonal haben, also Leute, die ich vorher kannte und mitgebracht habe.
Engagement für nachhaltiges Arbeiten, Bewusstsein für Regionalität und Umwelt – dafür steht die Auszeichnung „MICHELIN Grüner Stern“. Diese würde doch hier wie die Faust aufs Auge passen?
Edip Sigl: Das wäre das i-Tüpfelchen. Wir machen das aber nicht, um den Grünen Stern zu bekommen, sondern weil wir von der Sache überzeugt sind; weil wir glauben, dass es der richtige Weg für uns ist und dass es einfach die Zukunft, das Zeitgemäße ist. Die Meere sind überfischt, die Fischpreise werden sich verändern, Stürme werden immer schlimmer, sodass Fischer nicht mehr rausfahren können. Es passiert gerade sehr viel.
Der Grüne Stern wäre großartig. Wir freuen uns über eine tolle Bewertung, wollen uns aber auch nicht verrückt machen oder uns verkrampfen, sondern wir wollen Spaß bei der Sache haben, unserer Linie treu bleiben.
Sie haben gelernt, nach Perfektion zu streben und für das perfekte Gericht keine Kompromisse einzugehen. Wann sind Sie zufrieden?
Edip Sigl: Ich bin grundsätzlich eigentlich ein sehr zufriedener, ausgeglichener Mensch. Meine Art ist sehr positiv. Ich habe eine tolle Frau, zwei bezaubernde Kinder, ein wunderschönes Heim, eine tolle Arbeitsstätte, durfte und darf mitgestalten, habe ein super Team beisammen – wie sollte ich da unzufrieden sein?
Trotzdem bleibe ich nicht stehen. Ich reflektiere regelmäßig: Ist das richtig? Was kann man verbessern? Wie kann man es noch optimieren? Immer wieder reflektieren, nie stehen bleiben, wissbegierig bleiben: Wir wollen nie fertig werden, wollen immer weitergehen und weitermachen.
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